SEO als Feministische Taktik?

Feministischer Zwischenruf

Suchmaschinenoptimierung (oder SEO für Search Engine Optimisation) mutet auf den ersten Blick nicht besonders feministisch an. Schließlich ist Google ein*e zentrale Akteur*in des Überwachungskapitalismus und der algorithmischen Diskriminierung. Auch die SEO Branche entspricht nicht immer inklusiven Idealen – von sell-out-Gedanken und der Kritik an Aktivismus-Vermarktlichung mal ganz abgesehen. Sollten wir da statt Optimierung betreiben nicht lieber Widerstand leisten?

Google SEO Crawler

Ja, klar. Aber leider nicht nur. Denn mit einem Marktanteil von 86% bei der Desktop-Suche und 98% bei der mobilen Suche ist Google auch in Deutschland marktbeherrschend. Obwohl wir uns ein feministisches Internet eigentlich anders vorstellen, bedeutet Google damit für viele Menschen immer noch das Fenster zum Internet. Und welche Aussicht sich durch dieses Fenster offenbart, wird vor allem durch Google’s Sortierung der Suchresultate bestimmt.

Die Klickrate (oder CTR für clicktrough rate) des ersten Suchergebnisses beträgt knapp 32%, d.h. wird das Ergebnis 100x angezeigt, klicken ca. 32 Benutzer*innen es auch an. Zum Vergleich, weniger als 1% der Google Benutzer*innen klicken überhaupt auf ein Suchresultat, das erst auf der zweiten Seite erscheint. Prominent unter den Suchresultaten vertreten zu sein ist deshalb wichtig, vor allem wenn es darum geht, anti-feministischen Inhalten nicht die Deutungshoheit zu überlassen.

Wie funktioniert Google?

Um Benutzer*innen eine möglichst “gute” Auswahl an Suchresultaten zu zeigen, katalogisiert Google laufend das gesamte Internet in einem Index. Dieser Google Index ist kein statisches Lexikon, sondern sehr dynamisch und komplex sortiert. Sobald die sogenannten Crawler eine Webseite finden, versuchen sie anhand des Inhalts zu verstehen, zu welchen Suchbegriffen sie passen könnte. Und um zu bestimmen, welche Webseiten aus diesem Index in welcher Reihenfolge als Suchergebnis angezeigt werden, kommt Google’s Rankingalgorithmus zum Zug.

Nach welchen Kriterien dieser Algorithmus genau arbeitet, ändert sich nicht nur laufend, sondern ist auch streng gehütetes Betriebsgeheimnis von Google. SEO-Spezialist*innen verfolgen seit Jahren, wie sich verschiedene Kriterien auf das Ranking der Suchresultate auswirken. Bis zu 200 solcher Kriterien sollen dabei zur Anwendung kommen. Die Länge und thematische Tiefe des Inhalts, die Verwendung von Keywords in der URL oder in der Metabeschreibung einer Webseite, die Keyword-Dichte im Text, interne und externe Links, aber auch technische Aspekte wie die Ladegeschwindigkeit oder mobile Tauglichkeit einer Webseite werden oft genannt.

Neben inhaltlichen und technischen Kriterien, wird auch das Verhalten von Benutzer*innen zur Beurteilung eines Suchergebnisses beigezogen. Klicken sie auf ein Suchergebnis? Wie lange verweilen sie auf der entsprechenden Webseite? Oder klicken sie in kurzer Folge gleich auf mehrere Ergebnisse bis sie mit einem zufrieden sind? Auch die Sprachqualität, Lesbarkeit und Social-Media-Signale fließen in die Beurteilung mit ein.

Der Algorithmus an sich bleibt trotz aller Analyse und Interpretation zwar weiter undurchsichtig, aber Erfahrungswerte liefern trotzdem Handlungsspielraum, um eigene Inhalte suchmaschinenfreundlicher zu gestalten. Hier kommt SEO ins Spiel. Dabei wird probiert, Webseiten so zu schreiben, dass sie in den organischen Ergebnissen (also nicht bezahlten Anzeigen) soweit oben wie möglich erscheinen.

SEO als feministischer Aktivismus?

Zu feministischen Themen ist es natürlich wichtig, dass feministische Inhalte gefunden werden. Dem ist leider nicht immer so, vor allem nicht bei umstrittenen Themen von breiter gesellschaftspolitischer Relevanz. Suchergebnisse sind immer eine Momentaufnahme und spiegeln neben Marktinteressen auch ein Stück weit den öffentlichen Diskurs wieder. Wer am lautesten schreit (und am besten optimiert) wird gefunden und gelesen. Und “Lebensschützer*innen”, Gender-Kritiker*innen und Anti-Feminist*innen schreien dabei oft besonders laut.

Rechtskonservative Inhalte sind nicht von ungefähr oft prominent in den Suchergebnissen vertreten, denn die transnationale “neue” Rechte wie auch militante Abtreibungsgegner*innen beschäftigen sich schon länger mit Online-Marketing und SEO. In der Kombination mit Google’s Ranking-Algorithmus führt das zum Beispiel dazu, dass eine Suche nach “Abtreibung” die Webseite abtreibung.de als erstes Suchergebnis liefert. Was aus Google’s Sicht vielleicht besonders relevant aussieht – schließlich entspricht die URL genau dem Suchbegriff – entpuppt sich bei genauerem Hinsehen aber als Täuschung ungewollt Schwangerer. Denn wer sich über dieses Portal Beratung sucht, wird nicht umfassend und neutral beraten, sondern begegnet Vertreter*innen der Anti-Choice Bewegung, die im direkten Kontakt von einem Schwangerschaftsabbruch abraten.

Dass Gegensteuer durchaus funktionieren kann, zeigt sich zum Beispiel am Suchbegriff “Genderwahn”. Vor ca. einem Jahr ergab meine Suche danach nur einen einzigen kritischen Beitrag auf der ersten Seite, umgeben von viel rechtem Gedankengut und einem kurzen Newsbeitrag. Inzwischen sieht es bereits etwas anders aus. Dieselbe Suche bringt aktuell gleich mehrere Artikel zur Begriffsklärung, die auch darauf hinweisen, dass der Begriff als abwertend gilt. Neben weiteren unkritisch neutralen Inhalten, sind aber nach wie vor auch mehrere Suchergebnisse vertreten, die den “Genderwahn” als große Gefahr für Sprache und Kultur darstellen, auch in den Top 5. Das kann nun je nach Position als durchaus ausgewogen oder als viel Luft nach oben für feministische SEO gewertet werden. Ob dieser Verschiebung wirklich Absicht, also SEO, zugrunde liegt oder eher ein inzwischen breiteres Angebot an differenzierten Inhalten, sei erst mal dahingestellt.

Kompromiss oder Kompliz*innenschaft?

In Deutschland sind wir in der unglücklichen Lage, dass der Personenkreis, der zum Thema Schwangerschaftsabbruch eigentlich am besten positioniert wäre per SEO online Diskurssteuerung zu betreiben – nämlich Ärzt*innen –, rechtlich davon ausgenommen ist. Seit der Überarbeitung von Artikel 219a StGB dürfen diese zwar straffrei erwähnen, dass Schwangerschaftsabbrüche zu ihrem Leistungsangebot gehören, mehr aber nicht. Erfolgreiches SEO sieht anders aus. Andere Webseiten und feministische Organisationen, die selbst keine Schwangerschaftsabbrüche durchführen, sind von dieser Einschränkung aber nicht betroffen und dürfen frei informieren und optimieren.

Wie Tina Reis im Interview mit Netzpolitik.org erklärt, ist die Wahl relevanter Keywords dabei besonders wichtig. Und da prallen aus feministischer Sicht manchmal Begriffswelten aufeinander. Schließlich bedeutet Sprache auch Macht und Begriffe werden oft bewusst politisch gewählt um Machtverhältnisse aufzuweichen, anti-diskriminierend zu wirken oder zumindest gesellschaftliche Normen nicht weiter zu untermauern. Statt Abtreibung, zum Beispiel, verwenden Vertreter*innen der Pro-Choice-Bewegung lieber den Begriff Schwangerschaftsabbruch, weil er die Prozedur faktisch besser beschreibt und weniger Gewalt suggeriert.

Um bei Google in den top Suchresultaten zu landen, ist es aber wichtig, jene Begriffe zu optimieren, die von Betroffenen wie auch von einem breiteren Publikum tatsächlich am häufigsten gesucht werden. Und da sieht es nun mal so aus, dass Schwangerschaftsabbruch im Schnitt ca. 22.000-mal pro Monat gesucht wird, während der geläufigere, wenn auch problematischere Begriff Abtreibung mit 33.000 monatlichen Suchanfragen viel häufiger ins Suchfeld getippt wird. Dazu kommt, dass viele verwandte Suchanfragen, etwa “Abtreibung Kosten”, “Abtreibung Deutschland”, “Abtreibungspille” oder “Abtreibung bis wann” auch eher den Begriff Abtreibung enthalten als Schwangerschaftsabbruch.

Was teils als Kompliz*innenschaft anmuten mag, kann durchaus als strategischer Kompromiss angegangen werden. Zum Beispiel indem beide Begriffe prominent auf einer informativen Seite zum Thema verwendet werden oder indem gleich erklärt wird, warum der Begriff Abtreibung verwendet wird, obwohl Schwangerschaftsabbruch der Sachlage gerechter wird. Sprache ist schließlich in Bewegung und je mehr Menschen dieser bewussten Differenzierung begegnen, desto grösser die Wahrscheinlichkeit, dass in Zukunft vielleicht häufiger Schwangerschaftsabbruch als Abtreibung gegoogelt wird.  

SEO als notwendiges Übel?

So lange Google für so viele das Fenster zum Internet ist und oft als neutrale Informationsquelle gesehen wird, kann feministische SEO nicht nur ein notwendiges Übel, sondern eine zentrale Taktik gegen rechts und gegen die Ausweitung von Gender-feindlichem Diskurs sein. Vor allem wo Gender explizit gegen soziale Gerechtigkeit und Inklusion mobilisiert wird, ist die Teilnahme am Rennen um hohe Google-Platzierungen wichtig.

Weil Widerstand gegen Frauen*feindlichkeit, gegen die rechte Aneignung des Genderdiskurses, gegen marginalisierende Fehlinformationen, gegen anti-feministische Positionen auch in den Google-Suchresultaten stattfinden muss. Weil Counter-Speech wichtig ist und weil die Gegenseite SEO gut kann. Um etwas zu entgegnen, ist es wichtig auch gefunden zu werden. Und um gefunden zu werden, ist es wichtig auf der ersten Seite der Google Suchergebnisse mitzumischen – am besten natürlich ganz weit oben.

Dies nicht nur um Gegenargumente zu liefern, sondern auch um einem breiteren Publikum zu zeigen, dass diese Begriffe umkämpft sind. Die meisten Suchenden sind wohl weder vehemente Anti-Feminist*innen, noch Expert*innen in feministischer Theorie. Viele googeln gerade weil sie noch wenig über ein Thema wissen und sich erstmal einen Überblick verschaffen wollen. Da ist es besonders wichtig, dass dieser Überblick zu umstrittenen Themen auch feministische Inhalte enthält.